vorstellung

Carl-Rainer Jentzsch



Wer bin ich? Diese Grundfrage nach dem Sinn unseres Hierseins ist so kompliziert wie über das Denken denken zu wollen. Sie verlangt, aus ihrer Leibeigenschaft von der Antwort gelöst zu werden. Da hilft es, sich seiner Denkerlebnisse zu erinnern, sich deren Gemüt zu vergegenwärtigen in der damit verbundenen Annäherung übersinnlicher Tatsachen. Richtiger heißt es dann: Wer ist ich?

Das Malen ist meine adäquate Möglichkeit des Erinnerns als Schicksal, ein Versuch, es wenigstens andeutungsweise sichtbar zu machen und die Bildversuche spiegeln mich als orakelnden Fremden, der mehr über mich aussagen kann (nicht muss!) als der Rasierspiegel. Mit dieser besonderen Art des Erinnerns ist aber kein Wegtauchen in Vergangenheit als Gewesenes gemeint. Zurückliegendes sehe ich so eher als einen wandernden Schlagschatten der Gegenwart von ihrer Mitte, dem Hier und Jetzt aus, als einen Zeiger für den Freigang in neue Gebiete. Was den Schatten wirft, bleibt dahin gestellt und entzieht sich meinem Blickwinkel.

Stofflich hergestellte Bildwirklichkeiten sind substantiell gewordene Flecken geronnener Zeitlosigkeit, die im Gegensatz zu elektronischen Bildern keine geschminkten Leichen sind, wie ich sie als Zeitgenosse hier auf dem Monitor anzubieten habe.

Das auf ein bedingtes Nichts, der weißen Leinwand, erfundenene und gefundene originäre Einzelbild ist im Zeitalter seiner beliebigen Reproduzierbarkeit zum vornehmsten Einsiedler von Welt geworden, dem aber bitte kein Elfenbeinturm unterstellt werden sollte - denn er ist ein notorischer "Bodenbrüter".

"Das Wasser der Flüsse, das du berührst, ist das letzte von jenem, das fort fließt, und das erste von jenem, das kommt. So ist die Gegenwart.  Leonardo da Vinci